Ein Auffahrunfall gehört zu den typischen Unfällen im Straßenverkehr. Getreu dem Motto „Wer auffährt, hat Schuld“ scheint die Haftungsfrage klar beantwortet zu sein. Doch dabei handelt es sich um keine allgemeingültige Regelung im Verkehrsrecht. Somit ist die Haftung bei einem Auffahrunfall nicht immer eindeutig. Wir verschaffen einen Überblick, wer für einen Schaden durch einen Auffahrunfall haftet.
Inhaltsverzeichnis:
- Was tun bei einem Auffahrunfall?
- Auffahrunfall – Wer hat Schuld?
- Wie lässt sich ein Auffahrunfall vermeiden?
- (Auffahr-)Unfall mit dem Dienstauto
Was tun bei einem Auffahrunfall?
Das Vorgehen nach einem Auffahrunfall unterscheidet sich nicht von anderen Unfällen im Straßenverkehr. Zunächst muss die Unfallstelle kenntlich gemacht und abgesichert werden. Warnweste, Warnblinker und Warndreieck sind also gefragt. Sofern es Verletzte gibt, muss im Anschluss die Polizei sowie Rettungskräfte verständig werden. Außerdem gilt es, Verletzte zu versorgen, bis die Einsatzkräfte eintreffen. Wenn kein Personenschaden vorliegt, muss auch die Polizei nicht verpflichtend verständigt werden. Es ist dennoch ratsam, insbesondere zur Klärung der Haftungsfrage und für die anschließende Schadenabwicklung. Dazu sind folgende Schritte relevant: Unfallmeldung bei der Versicherung und gegebenenfalls dem Arbeitgeber (wenn der Unfall mit dem Dienstwagen geschehen ist) sowie das Sichern von Beweisen (z. B. eigene Fotos vom Schaden am Fahrzeug und der Unfallsituation aufnehmen).
Im Gastbeitrag von Rechtsanwalt Lutz D. Fischer finden Sie weitere Informationen zum Verhalten am Unfallort samt einer Checkliste:
Auffahrunfall – Wer hat Schuld?
Zur Klärung der Schuldfrage bei einem Auffahrunfall wird zunächst vom so genannten Anscheinsbeweis bzw. Beweis des ersten Anscheins ausgegangen. Insbesondere bei Situationen im Straßenverkehr wird diese Art der Beweisführung herangezogen. Der Begriff ist gesetzlich nicht definiert, aber grob gesagt geht es darum, dass bei typischen Geschehensabläufen auf Erfahrungswerte zurückgegriffen und somit von einem bestimmten Ergebnis ausgegangen wird. Umgekehrt wird einem bestimmten Ergebnis ein typischer Ablauf zugrunde gelegt. Es muss folglich keine konkrete Tatsachengrundlage vorliegen.
In Bezug auf den Auffahrunfall wird zunächst davon ausgegangen, dass der Auffahrende Schuld an dem Auffahrunfall hat. Denn entweder…
- hat er nicht genügend Sicherheitsabstand eingehalten (vgl. 4 StVO),
- seine Geschwindigkeit nicht der Situation angepasst (vgl. 3 StVO)
- oder er war abgelenkt.
Der Anscheinsbeweis kann durch den Auffahrenden aufgehoben werden, wenn er beweist, dass der Vorausfahrende beispielsweise grundlos gebremst hat. So kommt es immer häufiger vor, dass dem Vorausfahrenden je nach Situation eine Mitschuld oder die Hauptschuld zugesprochen wird. Für den Auffahrenden ist es jedoch nicht immer leicht, ein Fehlverhalten des Vorausfahrenden zu beweisen. Daher ist es ratsam, direkt am Unfallort nach Zeugen zu suchen, die die Geschehnisse bestätigen können.
Besonderheit: Kettenauffahrunfall
Bei einem Kettenauffahrunfall fahren mehrere Fahrer ineinander. Dadurch ist der Unfallvorgang schwerer zu rekonstruieren und die Haftungsfrage kann so nicht sofort beantwortet werden. Aus diesem Grund entschied das Oberlandesgericht (OLG) Hamm in einem Urteil im Jahr 2014, dass in einem solchen Fall der Anscheinsbeweis nicht zulässig ist (Urteil vom 06.02.2014 - 6 U 101/13). Wenn die Schuld der Beteiligten nicht eindeutig geklärt werden kann, tragen alle darin verwickelten Parteien eine Teilschuld.
Besonderheit: Tiere auf der Fahrbahn
Ein weiterer Sonderfall ist, wenn ein vorausfahrender Verkehrsteilnehmer aufgrund eines Tieres abbremst und es dadurch zu einem Auffahrunfall kommt. So grausam es klingt, aber das Bremsen oder Ausweichen für Tiere wird in der Regel nicht als zwingender Grund gesehen. Hierbei wird häufig die Größe des Tieres und der daraus resultierende Schaden an Personen und Fahrzeugen als Bemessungsgrundlage gesehen. Als Faustregel kann man festhalten: Je größer das Tier, umso größer ist der potenzielle Schaden und umso mehr berechtigt ist man zum Bremsen. So kann das Abbremsen bei einem Wildschwein, Reh oder Rind durchaus gerechtfertigt sein. Kleintiere wie Füchse, Hasen, Eichhörnchen oder Katzen sind jedoch davon ausgenommen. Ist durch das starke Abbremsen für ein Kleintier die Verkehrssicherheit nicht mehr gewährleistet, wird von einer Verkehrswidrigkeit ausgegangen. Der Unfallverursacher muss dann mit einer Teilschuld rechnen. Zu dem Ergebnis kam auch das Amtsgericht München, nachdem ein Autofahrer auf einer Landstraße wegen eines Eichhörnchens stark abgebremst hatte und es infolgedessen zu einem Auffahrunfall kam. Dem Autofahrer wurde eine Teilschuld von 25 Prozent zugesprochen (AZ 331 C 16026/13).
Auch der Halter eines Tieres haftet (Tierhalterhaftung). Verursacht ein Tier einen (Auffahr-)Unfall aufgrund von mangelnder Aufsicht seines Halters, dann kann es das zur Mithaftung seitens des Halters führen. Es muss allerdings nachgewiesen werden, dass das Tier nicht ausreichend beaufsichtigt wurde. Zudem ist es nicht immer leicht, den Halter eines Tieres tatsächlich ausfindig zu machen.
Was ist bei einem Wildunfall zu beachten? Wir haben dies in unserem Beitrag „Wildunfall – Wie verhalten Sie sich richtig?“ für Sie zusammengefasst.
Weitere Einzelfälle
Laut dem Urteil des Amtsgerichts München wird der Anscheinsbeweis seitens des Auffahrenden aufgehoben, wenn der Vorausfahrende, ohne den Blinker zu setzen, unerwartet die Fahrspur wechselt. Der Vorausfahrende hat dadurch seine Sorgfaltspflicht im Straßenverkehr missachtet (Urt. v. 01.10.2013, Az. 331 C 28375/12).
In einem anderen Fall beim Amtsgericht München ging es um einen Auffahrunfall infolge des Anfahrens an einer Ampel. Der vorausfahrende Fahrer ist zunächst losgefahren, als die Ampel Grün zeigte, bremste aber dann abrupt und ohne sichtbaren Grund ab. Der Auffahrende konnte den Anscheinsbeweis durch Zeugenaussagen aufheben, weshalb dem Vorausfahrenden die Unfallschuld zur Last gelegt wurde. Das Argument des zu geringen Sicherheitsabstands griff in diesem Fall nicht, da sich die Situation im Großstadtverkehr zugetragen hat, wo nach Ansicht des Gerichts ein geringerer Abstand zum Vorausfahrenden an einer Ampel zulässig ist (Az.: 345 C 10019/01).
Wie lässt sich ein Auffahrunfall vermeiden?
Hier gilt das, was für das Verhalten allgemein im Straßenverkehr gilt:
- Fahren Sie möglichst vorausschauend und passen Sie Ihr Fahrverhalten den Gegebenheiten an.
- Halten Sie ausreichend Sicherheitsabstand (Faustregel: „Abstand gleich halbe Tachoanzeige“).
- Vermeiden Sie Ablenkungen während der Fahrt.
- Überprüfen Sie, ob Ihr Bremsassistent korrekt funktioniert. Bei Fehlfunktionen kann dies auch zu einer Mitschuld führen (vgl. OLG Frankfurt - Az.: 23 U 120/20).
(Auffahr-)Unfall mit dem Dienstauto
Kommt es zu einem (Auffahr-)Unfall mit dem Dienstfahrzeug, ist die Schadenabwicklung etwas umfangreicher. Denn dann muss der Arbeitgeber bzw. der Fuhrparkverantwortliche über den Unfall in Kenntnis gesetzt werden – das am besten direkt schon an der Unfallstelle, nachdem lebensrettende Sofortmaßnahmen vorgenommen wurden und Rettungskräfte verständigt sind. Im Normalfall haftet der Arbeitgeber für den Unfall mit dem Dienstauto und kommt somit für den Schaden auf. Es gibt aber auch Situationen, in denen der Dienstwagenfahrer mit- oder vollhaftet für den Unfall. Welche das sind, haben wir für Sie in unserem Beitrag Unfall mit dem Firmenwagen zusammengefasst.