Im Zusammenhang mit der kaufrechtlichen Gewährleistung für Neufahrzeuge sind wohl die Begriffe „Abgas-Skandal“, „Diesel-Skandal“ und „Schummelsoftware“ die Worte des Jahres 2018. So führt das Suchwort „Abgas-Skandal“ bei juristischen Datenbanken zu 544 Treffern, die Begriffe „Diesel-Skandal“ zu 136 Treffern sowie das Wort „Schummelsoftware“ immerhin zu 79 Treffern zu einschlägigen Gerichtsentscheidungen – Tendenz steigend. Sind Fahrzeuge mit einer unzulässigen „Schummelsoftware“ ausgestattet, werden meist sowohl Fahrzeughändler als Verkäufer, aber auch die Fahrzeughersteller selbst verklagt – mit unterschiedlichem Erfolg. Obgleich die Thematik in Presse und Medien bis ins kleinste Detail mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt wird, ist die Beweisführung in gerichtlichen Verfahren durchaus eine ernstzunehmende Hürde. Die Problematik des „Abgas-Skandals“ ist rechtlich höchst komplex, soll aber nachfolgend in einzelnen Aspekten kursorisch verdeutlicht werden.
Auf einen Blick:
Beim Kauf eines Fahrzeugs gibt es sowohl gesetzlich geregelte Gewährleistungsrechte als auch Garantieansprüche. Dafür müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Zusätzlich kann einer Verkäufer- oder Herstellergarantie gewährleistet werden. Grundvoraussetzung für die Gewährleistung ist, dass der Kaufgegenstand mangelhaft ist. Darüber hinaus können in konkreten Fällen Schadenersatzansprüche oder Anfechtung des Kaufvertrags zum Tragen kommen. Die Gewährleistungs- und Garantieansprüche werden in diesem Beitrag im Kontext des Abgas-Skandals betrachtet.
Rechte des Käufers beim Fahrzeugkauf – ein kursorischer Überblick
Beim Kauf eines Fahrzeugs gibt es sowohl gesetzlich geregelte Gewährleistungsrechte, die sich direkt gegen den Verkäufer richten, als auch Garantieansprüche, die als einseitiges Leistungsversprechen einerseits vom Verkäufer, aber auch vom Hersteller gegeben werden können. Der Hersteller ist als Lieferant des Fahrzeugs am Kaufvertrag zwischen Vertragshändler (Verkäufer) und Käufer nicht beteiligt.
Voraussetzungen der kaufrechtlichen Gewährleistung sind
- ein Kaufvertrag (§ 433 BGB);
- die Mangelhaftigkeit des Kaufgegenstands: in den o. g. Fällen geht es meist um einen Sachmangel;
- und das Nichtvorliegen eines Gewährleistungsausschlusses.
Die Rechte aus der Gewährleistung sind dann
- entweder ein Anspruch auf Nacherfüllung (§§ 437, 439 BGB) als vorrangiger Anspruch in Form von Beseitigung des Mangels (Nachbesserung) oder der Lieferung einer mangelfreien Sache (Nachlieferung)
- oder Rücktritt oder Minderung (§ 437 Nr. 2 BGB), wenn der Nacherfüllungsanspruch nicht realisiert wird;
- daneben gibt es Schadenersatzansprüche (vgl. 437 Nr. 3 BGB)
- oder Aufwendungsersatz.
Neben den gesetzlichen Gewährleistungsrechten können der Verkäufer und/ oder der Hersteller als Garantiegeber ihrerseits weitere Leistungen versprechen in Form einer Verkäufer- und/ oder Herstellergarantie (z. B. Beschaffenheitsgarantie, Haltbarkeitsgarantie), die beim Kaufvertragsabschluss zum Vertragsbestandteil werden.
Mangelhaftigkeit des Kaufgegenstands
Grundvoraussetzung für alle Gewährleistungsrechte ist, dass der Kaufgegenstand mangelhaft ist. Ein Sachmangel kann wie folgt gesehen werden: Durch die vorgenommene Manipulation in Form der „Schummelsoftware“ wird seitens des Herstellers in unzulässiger Weise die diesbezügliche Typengenehmigung für das betroffene Fahrzeug erlangt, wobei bei Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung (z. B. in Form eines sog. Thermofensters) der Emissionsausstoß während nahezu des gesamten Jahreszeitraums deutlich höher ist, als in den Fahrzeugunterlagen angegeben. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hatte in dem Vorliegen einer Abschaltsoftware - die der zuständigen Behörde anlässlich des Typgenehmigungsverfahrens und dem Fahrzeugkäufer bei Abschluss des Kaufvertrags unbekannt war - eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Ziffer 10 der VO (EG) 715/2017 gesehen und ordnete in vielen Fällen einen Rückruf an.
Soweit daraufhin Softwareupdates entwickelt wurden, die vom KBA freigegeben und nachfolgend beim gekauften Pkw (im Wege der Nachbesserung) aufgespielt wurden, liegt ein entsprechender Sachmangel aber nicht mehr vor (vgl. dazu LG Braunschweig, Urteil vom 03.01.2019, Az. 11 O 1172/18, 11 O 1172/18 (231)). Denn in diesen Fällen droht künftig keine Entziehung der Fahrzeugzulassung, wenn nach der Bescheinigung der zuständigen Behörde das Fahrzeug nach Durchführung des Updates den gesetzlichen Vorgaben entspricht.
Schadenersatzansprüche gegen den Fahrzeughersteller
Durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung kann der Käufer gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß Paragraf 826 BGB und gemäß Paragraf 831 Abs. 1 S. 1 BGB haben (vgl. dazu allgemein LG Stuttgart vom 27.11.2018, Az. 7 O 265/18; LG Stuttgart vom 21.08.2018 , Az. 23 O 92/18; LG Bochum vom 29.12.2017, Az. I-6 O 96/17; LG Köln vom 18.07.2017, Az. 22 O 59/17; LG Stuttgart vom 05.04.2018, Az. 7 O 28/17; LG Würzburg vom 23.02.2018, Az. 71 O 862/16).
Der Schaden wird bereits im Abschluss des Vertrags gesehen, der jedenfalls zu den damaligen Bedingungen so in der Form bei Kenntnis aller Umstände von der Abschalteinrichtung nicht abgeschlossen worden wäre. Der diesbezügliche Vermögensschaden des Käufers liegt darin, dass er in Unkenntnis des nicht gesetzeskonformen Einbaus einer unzulässigen da dauerhaft arbeitenden Abschalteinrichtung i. S. d. Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 EG VO 715/2007 mit den sich daraus ergebenden Folgen - u. a. Sachmangel im Sinne des Gewährleistungsrechts – den Pkw erworben und damit einen ihm wirtschaftlich nachteiligen Vertrag geschlossen hat.
Die Täuschung des Herstellers gegenüber allen (potenziellen) Käufern derartiger Fahrzeuge durch konkludentes Handeln liegt darin, dass ein Neuwagenkäufer grundsätzlich davon ausgehen kann, dass das erworbene Fahrzeug vollständig mangelfrei ist, den gesetzlichen Vorschriften genügt und ohne Einschränkung und ohne weitere zusätzliche spätere Maßnahmen am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen darf, wobei diese Vorstellungen in der Regel für den Kaufentschluss des jeweiligen Käufers maßgeblich sind.
In diesem Kontext ist z. B. relevant – so das LG Stuttgart (Urteil vom 27.11.2018, Az. 7 O 265/18) für den entschiedenen Fall – dass der Hersteller „in großem Umfang und mit erheblichem technischem Aufwand zentrale Zulassungsvorschriften ausgehebelt und zugleich die Kunden konkludent getäuscht hat. Er hat dabei nicht nur die Vorschriften des Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 außer Acht gelassen, sondern mit der vorgenommenen Manipulation durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung für alle davon betroffenen Fahrzeuge zugleich ein System zur planmäßigen Verschleierung ihres Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden einerseits sowie nachfolgend nach dem Inverkehrbringen der Fahrzeuge gegenüber den Verbrauchern andererseits geschaffen. Es lag also eine bewusste Täuschung der Aufsichtsbehörden einerseits und der Verbraucher andererseits vor, um die entsprechende Typengenehmigungen für die Fahrzeuge zu erhalten und diese dann so in Verkehr bringen zu können, um dadurch entsprechende Vertragsschlüsse der Händler mit Kunden herbeiführen zu können. Dabei ist der Hersteller bewusst verschleiernd und durch einen offensichtlich nur begrenzt einbezogenen Personenkreis vorgegangen, um diese Manipulation geheim zu halten, zumal diese Manipulation auch nur äußerst schwer zu entdecken war und so im normalen Verkehr mangels erkennbarer Auswirkungen eigentlich nicht aufgefallen wäre.“
Im Rahmen der Haftung für Verrichtungsgehilfen nach Paragraf 831 BGB ist (nach LG Stuttgart, Urteil vom 27.11.2018, Az. 7 O 265/18) relevant, dass „selbst wenn man … davon ausgehen würde, dass weder ein Vorstand im aktienrechtlichen Sinne, noch ein sonstiger Repräsentant i. S. v. Paragraf 31 BGB bei dem Hersteller von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung im hier maßgeblichen Zeitpunkt Kenntnis hatte, dann würde der Hersteller gleichwohl … auf Schadensersatz haften. Denn die Entwicklung und Freigabe des Motors samt der unzulässigen Abschalteinrichtung für die Serienproduktion erfolgte bei dem Hersteller letztlich auf der Arbeitsebene unterhalb der Repräsentanten. Es muss hier denknotwendig einen oder höchstwahrscheinlich sogar mehrere Mitarbeiter (Entwicklungsingenieure) bei dem Hersteller gegeben haben, die von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung ("Thermofenster") Kenntnis hatten. Diese Mitarbeiter sind Verrichtungsgehilfen der Beklagten i. S. v. Paragraf 831 Abs. 1 S. 1 BGB.“
Ansprüche gegen den Fahrzeughändler als Verkäufer
Regelmäßig geht es in den Fällen unzulässiger Abschaltsoftware um die Rückabwicklung des Kaufvertrags über den jeweiligen Pkw mit Rückzahlung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen die Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs nach den Paragrafen 433, 434 Abs. 1, 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 Abs. 1, 440, 346 Abs. 1, 348 BGB.
In diesem Kontext wird diskutiert, ob der Kaufvertrag nach Paragraf 123 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung angefochten werden kann. Dafür wäre aber erforderlich, dass der Fahrzeughändler als Verkäufer zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses Kenntnis (oder auch nur den Verdacht) von Manipulationsmaßnahmen (Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung) seitens des Herstellers hatte. Dies wird jedenfalls bei einem eigenständigen, unabhängigen Kfz-Händler nicht der Fall sein, wenn es sich hierbei weder um eine Konzerntochter noch um Beteiligungsverhältnisse der Herstellerfirmen handelt. Damit ist der Fahrzeughersteller in solchen Fällen nicht dem Verantwortungskreis des Verkäufers zuzuordnen, weshalb eine Zurechnung einer etwaigen arglistigen Täuschung des Herstellers im Verhältnis zum Verkäufer nicht in Betracht kommt (vgl. OLG München vom 03.07.2017, Az. 21 U 4818/16 m. w. N.). Der Hersteller ist vielmehr als Dritter im Sinne des Paragraf 123 Abs. 2 BGB zu qualifizieren. Hiernach ist eine Erklärung nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung des Dritten kannte oder kennen musste. Dies in der Praxis nachzuweisen, ist mehr als schwierig.
Dennoch kann der Käufer gemäß den Paragrafen 434 Abs. 1, 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 Abs. 1, 440, 349 BGB vom Vertrag zurücktreten, wenn die Kaufsache bei Gefahrübergang einen Sachmangel aufweist und der Käufer dem Verkäufer erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat (wenn diese nicht ausnahmsweise entbehrlich ist) und der Mangel nicht unerheblich ist.
In derartigen Fällen ist anzunehmen, dass der streitgegenständliche Pkw einen Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB aufweist, weil er aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. d. Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007, welche die Abgasrückführung bei (üblichen) Außentemperaturen reduziert, nicht die Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten darf. Denn der Durchschnittskäufer eines Neufahrzeugs kann und wird berechtigterweise davon ausgehen, dass das Fahrzeug nicht über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt und ggf. aus diesem Grund ein Entzug der Typenzulassung droht (so LG Stuttgart, Urteil vom 27.11.2018, Az. 7 O 265/18).
Auf Aktualität geprüft am: 01.07.2024.